08.04.2022 | Flächenentwicklung

Wie Gewerbegebiete zukunftsfähig werden

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Wirtschaftsstandorte interkommunal entwickeln und zum Erfolg führen

Angesichts der knappen Flächenressourcen eröffnet die Zusammenarbeit verschiedener Kommunen bei der Schaffung von Gewerbegebieten neue Möglichkeiten. Dabei gebe es jedoch keine Organisationsform, die für alle Kooperationen passe, erklärten Dr. Matthias Furkert und Dr. Brigitte Zaspel-Heisters vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) zum Auftakt der Veranstaltungsreihe. Vielmehr handele es sich um einen ständigen Lern- und Kommunikationsprozess. Kooperationen setzten voraus, dass alle Beteiligten einen Teil ihrer Autonomie abgäben. Gerade Kirchturmdenken und Lokalpatriotismus stünden dem oft entgegen. Eine Studie in Rheinland-Pfalz ergab jedoch, dass über 80 Prozent der Befragten den generellen Nutzen solcher Kooperationen als hoch oder sogar sehr hoch bewerteten. Als Handlungsempfehlungen für gutes Kooperieren nannten sie unter anderem eine offene Herangehensweise und die Transparenz bei Kosten und deren Ausgleich.

Wie sich ein ehemaliger Militärstützpunkt zum Wirtschaftsmotor entwickeln kann, zeigte Reinhard Müller, Geschäftsführer vom Industriepark Region Trier (IRT). Das 27,5 Hektar große, ehemalige Gelände der französischen Streitkräfte lag in der Zuständigkeit mehrerer Ortsgemeinden und Kreise. Am Anfang stand die Gründung eines kommunalen Zweckverbandes. Es folgten die Definition gemeinsamer Entwicklungsziele und Entscheidungsmechanismen. Zuständigkeiten wie Planungshoheit, Vorkaufsrechte oder der Bau- und die Unterhaltung von gemeindlichen Anlagen wurden übertragen und eine Organisationsstruktur aufgebaut. 1994 erfolgte der erste Spatenstich für das Technologie- und Gründerzentrum für Start-ups. Heute sind im IRT auf etwa 112 Hektar Fläche 150 Unternehmen beheimatet. Sie bieten rund 3.000 Arbeitsplätze, rund ein Drittel davon ist dort neu entstanden. Mittlerweile läuft eine Erweiterung. Die Nachfrage war so groß, dass schon vor dem ersten Spatenstich die zusätzlichen 40 Hektar vergeben waren.

„Die Gründung eines kommunalen Zweckverbandes zur interkommunalen Kooperation ist es eine große politische und organisatorische Herausforderung. Hier gilt es, einen Konsens für die unterschiedlichen Bedürfnisse der Beteiligten zu finden und zu einer projektorientierten, konstruktiven Zusammenarbeit zu kommen. Ein zentrales Thema ist dabei die Übertragung von örtlichen Zuständigkeiten. Denn nicht alle kommunale Gebietskörperschaften sind von vornherein bereit, Teile ihrer originären Aufgaben und Zuständigkeiten abzugeben. Aber es hat sich gezeigt, dass es manchmal gut ist, etwas für eine größere Sache aufzugeben, um so voranzukommen.“ (Reinhard Müller, Industriepark Region Trier)

Weil es im Landkreis Mayen-Koblenz trotz eines hohen Bedarfs nur eine sehr begrenzte Verfügbarkeit von Industriegrundstücken gab, empfahl ein Gutachten eine interkommunale Lösung, wie Henning Schröder, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderungsgesellschaft am Mittelrhein, berichtete. Der Fokus habe dabei auf der Schaffung großflächiger Industriegrundstücke gelegen. Die Gesamtfläche des Planungsgebietes umfasste 70 Hektar. 2010 bezog das erste Unternehmen sein Quartier. Heute sind dort 14 Unternehmen mit rund 4.000 Beschäftigten angesiedelt – darunter führende Logistiker. Einig waren sich die Teilnehmer, dass bei der Gründung eines Zweckverbandes oder einer ähnlichen Kooperation für ein Gewerbegebiet keine zu starke Spezialisierung auf eine Branche zu empfehlen sei; denn das mache das Projekt angreifbar für Marktschwankungen. 

Bestehende Industrie- und Gewerbegebiete zukunftsfähig gestalten

Die Weiterentwicklung bestehender Gewerbegebiete war Thema der zweiten Online-Veranstaltung. Dr. Wolfgang Haensch vom Beratungsunternehmen Cima in Köln präsentierte Zahlen aus Kommunen in Nordrhein-Westfalen, wonach dort über bestehende Gewerbegebietsflächen hinaus ein Erweiterungspotenzial von nur noch rund zehn Prozent existiere. Vor diesem Hintergrund erarbeiteten Haensch und seine Mitstreiter im Auftrag von drei IHKs zahlreiche Vorschläge, wie man ein bestehendes Gewerbegebiet zukunftsfähig machen kann. Im Zentrum stehen dabei vier Faktoren: Gewerbebau und -flächen, Arbeiten und Leben, Kooperation und Marketing sowie Mobilität und Infrastruktur. Um in der eigenen Kommune aktiv zu werden, stellte Haensch einen Sechs-Schritte-Plan vor – angefangen von der ersten Initiative bis hin zu schnell realisierbaren Starterprojekten.

„Bestand hat Zukunft“, erklärte Tobias Kurka von der Wirtschaftsförderung Frankfurt, die das Pilotprojekt zur Weiterentwicklung eines rund 120 Jahre alten Industrie- und Gewerbestandorts im Frankfurter Osten begleitet. Um Veränderung zu erzielen, sei es wichtig gewesen, dass man an die Unternehmen nicht mit abstrakten Zielen herangetreten sei, sondern Nachhaltigkeit auf konkrete Projekte heruntergebrochen habe und viel Wert auf Kooperation gelegt habe. Dabei ging es um die Vernetzung der Unternehmen, Klimaschutzoptimierung, die Steigerung der Attraktivität des Standortes, einen flächendeckenden Glasfasernetzausbau oder die Erneuerung des Straßennetzes in dem Areal. Gestartet ist das Projekt im Januar 2016. Bei einer Unternehmensbefragung im Jahr 2020 gaben 85 Prozent der Teilnehmer an, sich mehr mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandergesetzt zu haben, 80 Prozent konnten demnach ihr Netzwerk vor Ort vergrößern.

„Bestand hat Zukunft. Um ein nachhaltiges Gewerbegebiet wie in Frankfurt am Main zu schaffen, brauchen alle Beteiligten ein gemeinsames Verständnis über Vision, Ziele und Grenzen. Gespräche und Kooperationen sind dafür essenziell und benötigen ausreichend Zeit. Die Akteure am Standort müssen den Nutzen erkennen, aber auch die Politik muss den entsprechenden Willen haben und Investitionen bereitstellen. Eine angemessene und schnelle Reaktion auf neue Gegebenheiten ist ebenso wichtig wie die Sichtbarkeit des Projekts durch eine gute Öffentlichkeitsarbeit. Und am Ende müssen all diese Schritte immer wiederholt werden, damit sie bei allen Beteiligten im Gedächtnis bleiben.“ (Tobias Kurka, Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH)

Die Architekten Lena Wilke und Marc Weber vom Bauunternehmen Goldbeck aus Bielefeld stellten eine „Agenda – Flächensparend bauen für Unternehmen“ vor. Diese umfasst unter anderem eine flächeneffiziente Planung, eine professionelle Bedarfsermittlung, intelligente Konzepte zur Verdichtung und flexiblen Flächennutzung sowie die gegenseitige Inspiration. Sie appellierten an die Kommunen, besser geschnittene Grundstücke für Gewerbegebiete zur Verfügung zu stellen und die oft Jahrzehnte alten Bebauungspläne zu modernisieren. Unternehmen rieten sie, sich gerade bei der Ermittlung ihres Flächenbedarfs eine externe Beratung hinzuziehen, um Fehleinschätzungen zu vermeiden. Zudem verwiesen Wilke und Weber auf eine enorme Flächenverschwendung bei Pkw-Stellplätzen. Mit einem Parkhaus ließen sich oft mehrere tausend Quadratmeter Fläche gewinnen. Weiteres Potenzial biete ein sogenanntes Flächensharing, bei dem etwa Zufahrten, Verkehrsflächen oder Außenanlagen von verschiedenen Unternehmen gemeinsam genutzt würden. 

Klimaanpassung bei Gewerbeentwicklung gemeinsam planen und umsetzen

Die verheerenden Überschwemmungen im Sommer 2021 haben gezeigt, wie verletzlich Deutschland für Starkwetter-Ereignisse ist. Gewerbegebiete sind besonders anfällig, weil dort bis zu 80 Prozent der Fläche versiegelt werden dürfen und extreme Regenmengen dann unter Umständen nicht mehr abfließen können. Im dritten Veranstaltungsteil der IHK-Reihe ging es deswegen darum, wie Gewerbegebiete für die veränderten Wetter- und Klimabedingungen fit gemacht werden können.

Hildegard Boisserée vom Wissenschaftsladen Bonn präsentierte Vorschläge für eine Anpassung an den Klimawandel. Diese reichten von klimaregulierenden Grünflächen, Dach- und Fassadenbegrünung, schattenspendenden Bäumen, Hecken sowie die Entsiegelung von Flächen – etwa durch die Verwendung von Rasengittersteinen für Parkplatzflächen. Sie verwies darauf, dass davon nicht nur die Umwelt, sondern auch die Unternehmen profitierten: Die Aufenthaltsqualität steigt, das Image wird gefördert und auch die Regenwassergebühren sinken.

Beim Bio-Großhändler und -Produzenten Alnatura ist Nachhaltigkeit fest im Unternehmen verankert, wie der Head of Supply Chain Operations, Simon Schmitt, erklärte. Beim Bau des Verteilzentrums in Lorsch habe man sich deswegen nicht nur bewusst für eine Holzfassade und eine Fotovoltaikanlage entschieden, sondern im Jahr 2014 auch das weltgrößte Holzhochregal errichtet. „Ein Stahlregal hätte nicht zu unserer DNA gepasst“, sagte Schmitt. Mit 140 Metern Länge, 70 Metern Breite und 20 Metern Höhe bietet es Platz für 32.000 Paletten. Gebaut wurde es aus nachhaltig zertifiziertem Lärchen- und Fichtenholz, das aufgrund seiner Eigenschaften auch als Temperaturspeicher dient. „Wir würden es immer wieder so machen“, lautete Schmitts Fazit.

„Man muss das Thema Nachhaltigkeit langfristig angehen. Das ist nichts, was man innerhalb von einem Jahr umsetzen kann. Das kann auch nur funktionieren, wenn das Unternehmen voll dahintersteht, die Komplexität des Themas betrachtet und dabei Ökologie, Soziales und Ökonomie in Einklang bringt. Nachhaltigkeit und Umweltschutz kosten Geld, aber wenn man es ernst meint, eröffnet es einem Unternehmen auch Zukunftschancen.“ (Immo Kosel, Rowe Mineralölwerk)

Immo Kosel, Vertriebsleiter und Mitglied der Geschäftsleitung bei der Rowe Mineralölwerk GmbH, verwies darauf, dass die Ölbranche beim Thema Nachhaltigkeit oft kein gutes Image habe. Deswegen habe man sich dazu verpflichtet gefühlt, das Thema anders anzugehen. Bei der Umgestaltung des Betriebsgeländes in Worms habe man unter anderem ein Versickerungsbecken, eine Totholzhecke, einen Teich, eine Naturwiese, und Steinhaufen und Nisthilfen für Vögel angelegt, dazu mehrere Insektenhotels. „Damit sind wir der größte Hotelbetreiber in der Region“, scherzte Kosel. Überrascht sei man gewesen, wie schnell sich die Natur ausgebreitet und die Artenvielfalt in den neuen Nischen zugenommen habe. Auch bei den Mitarbeitenden sei ein Effekt zu sehen gewesen. Mehrere hätten angegeben, dass sie ihre eigenen Gärten entsprechend umgestaltet hätten. „Am Anfang wurden wir oft belächelt“, sagte Kosel. „Aber mit zunehmender Dauer konnten wir zum Mitmachen motivieren.“

Autor: Stephan Köhnlein

Weiterführende Informationen:


Autor:
  • Veronika Heibing
  • Projektmanagerin PERFORM