15.07.2021 | Flächenentwicklung
Klimaresiliente Gewerbegebiete: Leuchtturmprojekt für die Region
Als wir Susanne Roncka zum Gespräch treffen, liegt uns eine Frage auf der Zunge: Müssen Gewerbegebiete künftig vom Flächenplan gestrichen werden, weil sie klimaschädlich sind? „Nein auf keinen Fall! Gewerbegebiete nehmen gerade mal 1,6 Prozent der hessischen Landesfläche ein und sind nicht die Haupttreiber des Klimawandels. Man muss sich bewusst machen: wir alle wollen wohnen, arbeiten und konsumieren. Dafür werden nun mal Ressourcen und Flächen benötigt. Dem Boden als nicht vermehrbare Ressource kommt dabei allerdings eine besondere Bedeutung zu. Sowohl Konsumenten als auch Unternehmer müssen dafür Verantwortung übernehmen. Immer mehr Unternehmen planen und bauen klima- und ressourcenschonend. Doch es müssen mehr werden, damit sich Gewerbegebiete nicht aufheizen und den Wetterkapriolen standhalten.“, entgegnet die Referentin für Standortentwicklung, Bauleit- und Regionalplanung der IHK Darmstadt, entschieden.
„In der öffentlichen Wahrnehmung werden Gewerbegebiete als die großen Flächenfresser vorverurteilt, was dazu führt, dass die Neuentwicklung von Gewebeflächen auf immer größere Hindernisse stößt. Das kostet Kommunen und Unternehmen Zeit und Geld. Beides könnte besser in Klimaschutzmaßnahmen investiert werden, wenn man anstelle Widerstände aufbaut gemeinsam verantwortungsvoll handelt. Genau darum geht es im Projekt. Wir wollen aufzeigen, wie Gewerbeflächen bestmöglich für die Zukunft und das Klima gestaltet werden können“, erklärt Susanne Roncka.
Sie wählt eine ruhige Stimmlage, die ihr Bemühen um eine sachliche Diskussion unterstreicht. Ihr geht es um die Information und Sensibilisierung von Stadtplanern, Bauamtsleitern, Unternehmern, politischen Vertretern und nicht zuletzt der hessischen Bevölkerung. Denn eins ist klar: klimaangepasst zu planen und zu bauen, das kostet. „Aber auf die Lebensdauer eines Gebäudes bezogen eben nicht mehr, als in herkömmlicher Bauweise. Und nur die Kosten zu betrachten verzerrt auch die positiven Vorteile, die zum Beispiel eine begrünte Fassade oder Dachbegrünung hinsichtlich Energieeinsparung bringt. Es braucht viel Kommunikation und gute Beispiele, die zur Nachahmung einladen“, ist sich Susanne Roncka sicher.
Sie versteht es, mit ihrer Initiative unter dem Dach des PERFORM-Gesamtprojekts „Zukunftsfähige Gewerbegebiete“ Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen. Es ist ein Versuch, Stimmen und Mehrheiten für die bestmögliche Gestaltung von Gewerbegebieten zu gewinnen. Vor allem geht es darum, zu diskutieren, was wirtschaftlich sinnvoll und umsetzbar ist. Hierfür wünscht sich Susanne Roncka Unternehmer gleichermaßen wie Verwaltung, Politik und Naturschutzverbände an einen Tisch.
Um Gehör für das Projektthema zu finden, knüpft Susanne Roncka Kontakte zu Organisationen, Instituten, Verbänden und in Ministerien. Sie ist Bindeglied, Kommentatorin und Kommunikatorin. Dank ihres Engagements gibt es einen regelmäßigen Austausch mit dem Hessischen Landesministerium für Naturschutz, Umwelt und Geologie, mit dem Ziel, Gewerbegebiete beim klimaangepassten Bauen und Planen angemessen zu berücksichtigen. Dafür hat sie sich auch die Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen und den Wissenschaftsladen Bonn mit ins Boot geholt.
Anreizprogramme für Wirtschaft und Verwaltung
Würde ein politisch gestütztes Förderprogramm den notwendigen Anreiz für Unternehmen und Kommunen schaffen, Dächer zu begrünen und weitere Maßnahmen zum Schutz von Bodenflächen zu ergreifen? Das wäre möglich, bestätigt Susanne Roncka. Die Idee für ein Förderprogramm namens GEWIKLIM (kurz für „Gewerbegebiete wirtschaftlich klimatisch anpassen“) hat man beim Bundesministerium bereits ins Spiel gebracht. „Jeder hat immer die Häuslebauer im Fokus, wenn es um nachhaltiges Bauen geht. In der Stadtplanung und bei Unternehmen sind die Klimaaspekte bisher noch nicht zu hundert Prozent angekommen“, schätzt Susanne Roncka.
Allerdings: Fast immer sind Industriebetriebe im Rahmen des Trinkwasserschutzes auch dazu verpflichtet, Boden zu versiegeln – also genau das zu tun, was von Umwelt- und Naturschutzverbänden negativ angemahnt wird. „Doch es gibt Möglichkeiten, einen Ausgleich zu schaffen“, argumentiert Susanne Roncka. Zum Beispiel mit Rigolen oder Versickerungsboxen, in denen das Wasser gefiltert wird und dennoch versickern kann. Oder eine Dachbegrünung, die bei Starkregen die Kanalisation entlastet, sowie Fassadenbegrünung, um das Aufheizen von Gebäuden zu verhindern – all das sind machbare Aktionen, die durch eine finanzielle Förderung Anreize bekommen könnten.
Rückendeckung für Stadtplaner und Projektentwickler
In den Bauamtsstuben kommen die Vorschläge zur klimafreundlichen Gestaltung von Gewerbegebieten gut an. Allerdings: „Die Stadtplaner wissen sehr genau, welche Möglichkeiten es gibt. Einige setzen sie bereits um. Aber Kommunen können nur das planen und umsetzen, was durch die Politik vorgegeben wird. Daher muss auch dort das Bewusstsein für die Klimaaspekte von Gewerbegebieten geschaffen werden. Mit unserem universitär geleiteten Projekt „Klimaresiliente Gewerbegebiete“ verdeutlichen wir, dass solche Maßnahmen notwendig sind. Wir geben den Stadtplanern und Projektentwicklern Rückendeckung, damit sie bei der Politik Gehör finden“, sagt Susanne Roncka.
Die Erfahrung, dass bei den Themen Bebauung und Klimaschutz nicht jeder sofort ja ruft, hat auch Sebastian Bubenzer, Bürgermeister der Amtsgemeinde Alsbach-Hähnlein, gemacht. Zwei Gewerbegebiete liegen in seinem Einzugsgebiet. Im Dialog mit Firmenchefs lenkt er den Fokus auf wirtschaftliche Nutzenaspekte. „Unternehmen erkennen die zunehmende Bedeutung von Nachhaltigkeit als wichtiges Argument in der Kunden- und Mitarbeitergewinnung. Sie ergreifen eigenverantwortlich Maßnahmen“, sagt Sebastian Bubenzer. Er nennt Beispiele wie den hiesigen, im Gewerbegebiet ansässigen Autohändler, der sich autark versorgt. Oder den Investor eines geplanten Supermarktes, den man für Dachbegrünung und unabhängige Stromgewinnung begeistern konnte.
Projekte mit bundesweitem Interesse
Wie groß das Interesse an nachhaltig gestalteten Gewerbegebieten ist, zeigen die Teilnehmerzahlen vergangener IHK-Veranstaltungen und die Nachfrage aus Verwaltung, Politik und Wirtschaft. Dort interessiert man sich nicht nur für Klimaaspekte, sondern auch für die Probleme rund um Mobilität, Infrastruktur, Nutzung und die Attraktivität von Gewerbegebieten. Unmöglich jedes dieser Themen gleichzeitig mit derselben notwendigen Aufmerksamkeit zu bearbeiten. Deshalb entschied man bei PERFROM, die Handlungsfelder unter dem Projektdach „Zukunftsfähige Gewerbegebiete“ aufzuarbeiten. Jedes Jahr steht ein anderes Handlungsfeld im Fokus.
2019 fiel der Startschuss mit einem studentischen Projekt der Hochschule Darmstadt zum Thema Zukunftsfähige Gewerbegebiete. Zur Abschlussveranstaltung kamen rund 200 Teilnehmer. Im Corona-Jahr 2020 reichte das Interesse beim Handlungsfeld „Mobilitätsmanagement“ sogar über den Kammerbezirk hinaus. Knapp 90 Interessierte von Hamburg bis München hatten sich zur Online-Veranstaltung zugeschaltet, um über Vorschläge und Forderungen zu diskutieren.
„Wir schaffen Informationsgrundlagen, geben Überblick und Orientierungshilfe“, unterstreicht Susanne Roncka nochmals das Ziel der PERFORM-Projektarbeit. Derzeit arbeitet man an der Fertigstellung eines IHK-Leitfadens mit Handlungsempfehlungen zum betrieblichen Mobilitätsmanagement. Untersuchungen zum Thema klimaresiliente Gewerbegebiete laufen aktuell mit Studierenden des Fachbereichs Bau- und Umweltingenieurwesen der Hochschule Darmstadt, an der sich auch rund 20 Unternehmen aktiv beteiligen. Am 15. September sollen die Ergebnisse mit Fachpublikum und Themeninteressierten diskutiert werden.
Sie haben Fragen an Susanne Roncka und möchten sich austauschen? Dann nehmen Sie per E-Mail Kontakt zu uns auf oder folgen Sie uns auch auf Facebook.
Autor:
-
Veronika Heibing
-
Projektmanagerin PERFORM
0 Kommentare
Artikel Kommentieren