07.01.2021 | Mobilität und Verkehr

„Ich will die Aartalbahn. Und zwar schnell“

(c) Rheingau-Taunus-Kreis

Der Rheingau-Taunus-Kreis ist eine wirtschaftlich starke Region, die eng mit dem Kern der Metropolregion FrankfurtRheinMain verknüpft ist. Dorthin pendeln täglich 10.000 Einwohner zu ihren Arbeitsplätzen. Umgekehrt wird der Rheingau-Taunus-Kreis – insbesondere außerhalb der Corona-Zeit – von einer große Anzahl Erholungssuchender und Touristen besucht. Und das nicht nur an den Wochenenden. Außerdem sind neben dem weltbekannten Weinbau und der Getränketechnologie auch einige Weltmarktführer mit sehr hoher Spezialisierung im Rheingau-Taunus-Kreis beheimatet, unter anderem im Bereich der Oberflächenbearbeitung und -veredelung.

Berufs-, Freizeit- und Wirtschaftsverkehr prägen den Kreis. Dies ist Chance und Herausforderung zugleich. Besonders heiß diskutiert werden gerade zwei Infrastrukturprojekte, die es früher schon einmal gegeben hat, nun aber mit großem Aufwand reaktiviert bzw. neu gebaut werden müssten: Die Aartalbahn und die Rheinbrücke von Rüdesheim nach Bingen. PERFORM sprach mit Landrat Frank Kilian über den möglichen Nutzen dieser Projekte für den Kreis und inwieweit man sich dafür mit benachbarten Entscheidungsträgern vernetzen muss.

PERFORM: Wie stark sehen Sie Ihren Kreis in die Metropolregion eingebunden und welche Wachstumschancen sehen Sie in der Region? 

Frank Kilian: Der Rheingau-Taunus-Kreis ist elementarer Bestandteil des Wirtschaftsraums der Metropolregion FrankfurtRheinMain. Neben dem Wirtschaftsstandort bilden die siebzehn kreisangehörigen Städte und Gemeinden einen Ort großer Lebensfreude und Lebensqualität. Eine Besonderheit bildet der Rheingau-Taunus-Kreis in diesem Zusammenhang: In kaum einer anderen Region Deutschlands ist man in so wenigen Fahrminuten beispielsweise vom Flughafen mit großstädtischem Flair in einer mediterranen Gegend wie dem Rheingau und seinen idyllischen Weinprobierständen angelangt. Noch einmal wenige Minuten weiter und man befindet sich mitten im tiefsten Wald. Das haben nicht viele Landkreise zu bieten. Kurzum: Neben den klassischen Wachstumschancen in Gewerbe und Dienstleistung ist das touristische Marketing aus meiner Sicht einer der größten Entwicklungstreiber. Das verdeutlicht ja auch die aktuelle Diskussion zur Tourismusabgabe in den kommunalen Vertretungen im Rheingau.  

PERFORM: Mit Ihrer Kollegin, der Mainz-Bingener Landrätin Dorothea Schäfer, sind Sie sich einig, dass der Wiederaufbau der Rheinbrücke von Rüdesheim nach Bingen von beidseitigem Vorteil ist. Wie wollen Sie hier gemeinsam vorgehen, um dieses gemeinsame Ziel zu erreichen? 

Frank Kilian: Zunächst stelle ich fest, dass die Fährbetreiber im Fährverbund Mittelrhein eine ganz hervorragende Arbeit leisten, die in den letzten Jahren aufgrund des Klimawandels und den damit einhergehenden regelmäßig extrem niedrigen oder hohen Pegelständen nicht gerade einfacher geworden ist. Aus gutem Grund gibt es schon lange die Diskussion, den Fährbetrieb weiter in die Nachstunden hinein auszuweiten. In unserem Mobilitätskonzept für den Gesamt-Landkreis haben wir uns auch damit beschäftigt, wie eine 24-Stunden-Bedienung aussehen könnte. Es steht fest, dass ein solcher Rund-um-die-Uhr-Betrieb von den einzelnen Fährbetreibern nicht kostendeckend umgesetzt werden kann. Eine bauliche Verbindung zwischen dem Landkreis Mainz-Bingen und dem Rheingau-Taunus-Kreis würde deren wirtschaftliche Situation zudem weiter verschärfen. Dennoch bin ich gegen jegliches Denkverbot. 

Derzeit wird geprüft, ob eine Brückenverbindung rein rechtlich machbar wäre. Auf Grundlage dieser Ergebnisse werden wir weitersehen. Man muss dann aber auch die verkehrliche Anbindung dieser Brücke und die Auswirkungen auf das bestehende Straßennetz, insbesondere die B42 im Fokus behalten. Die Bundesstraße ist schon jetzt sehr häufig stark belastet. Da ich aber die Menschen im unteren Rheingau nicht mit der aktuell schlechten Situation alleine lassen will, bin ich grundsätzlich offen für alle Ansätze, die die infrastrukturelle Anbindung des unteren Rheingaus verbessern. Nicht zuletzt die Bundesgartenschau 2029 stellt uns in Sachen verkehrliche Erschließung vor große Herausforderungen. Auch das große Problem des schienengleichen Bahnübergangs in Rüdesheim muss endlich baulich gelöst werden.

PERFORM: Nachdem das City-Bahn-Projekt bei der Wiesbadener Bevölkerung keine Mehrheit gefunden hat, wollen Sie die Reaktivierung der Aartalbahn vorantreiben. Der Plan des Rheingau-Taunus-Kreises sieht vor, die komplette Strecke von Diez bis zum Wiesbadener Hauptbahnhof wieder zu befahren. Welchen Vorteil würde die Aartalbahn dem Kreis bringen und wie realistisch schätzen Sie die Chancen ein? 

Frank Kilian: Der Vorteil einer Streckenreaktivierung liegt auf der Hand: Rund 30.000 Pendler aus dem westlichen Untertaunus hätten dann einen direkten schienengebundenen ÖPNV-Anschluss an die Landeshauptstadt Wiesbaden und die von dort aus weiter verkehrenden Verbindungen. Am Bestehen des Nutzens einer solchen Streckenreaktivierung wird nach meiner Auffassung auch von keinem politisch oder gesellschaftlich Beteiligten gerüttelt. 

Wir sehen, dass die tagtäglichen Pendlerströme nicht alleine durch das bestehende Straßennetz aufgenommen werden können, ohne entsprechende Zeitverzögerungen durch Staus etc. zu verursachen. Und genau hier sind wir an dem Punkt, weshalb auch die Landeshauptstadt Wiesbaden davon einen großen Nutzen hat: Die innerstädtische Mobilität und auch die dadurch entstehenden Emissionen zwingen die dort Verantwortlichen dazu, Lösungen zu finden. Eine sogenannte „Zuflussoptimierung“, die nichts anderes bedeutet, als dass Einpendler noch stärker ausgebremst werden sollen, kann nicht die Lösung sein. Daher sind die Chancen sehr gut, dass einerseits die gesellschaftliche Akzeptanz der Wiesbadener Bevölkerung für eine Aartalbahn-Reaktivierung besteht sowie andererseits ein ausreichend hoher volkswirtschaftlicher Nutzen erreicht werden kann. Um es klar zu sagen: Ich will die Aartalbahn. Und zwar schnell. 

PERFORM: Auch der rheinland-pfälzische Staatssekretär Andy Becht hat sich für die Aartalbahn ausgesprochen. Die Nordstrecke bis Diez führt über den rheinland-pfälzischen Rhein-Lahn-Kreis und auch eine Anbindung nach Mainz ist noch nicht endgültig vom Tisch. Wie können hier die hessischen mit den rheinland-pfälzischen Landkreisen überregional zusammenarbeiten, um die Aartalbahn zu einem Erfolg zu führen?

Frank Kilian: Die Reaktivierung der Aartalbahn bedeutet die enge und vertrauensvolle Abstimmung und Zusammenarbeit zwischen vielen Beteiligten in zwei Bundesländern, mehreren Landkreisen und der Landeshauptstadt Wiesbaden. Von dort aus ist darüber hinaus auch die Verbesserung der Verbindung bis nach Mainz längst nicht vom Tisch. Aufgrund dieser Vielfältigkeit der Interessen ist es aus meiner Sicht höchste Zeit, dass von geeigneter Stelle aus mit uns zusammen ein Fahrplan für die Reaktivierung, notfalls in Teilabschnitten, aufgestellt wird. Für mich ist der Rhein-Main-Verkehrsverbund der richtige Akteur, die Fäden zusammen zu halten. Zusammen mit unserem zuständigen Dezernenten Günter F. Döring stehe ich im regen Austausch mit den Beteiligten.

PERFORM: Zusätzlich zur Reaktivierung der Aartalbahn gibt es Pläne zur Verknüpfung der Aartalbahn in Wiesbaden mit der Ländchesbahn nach Niedernhausen bei gleichzeitiger Verlängerung nach Idstein. Für den Rheingau-Taunus-Kreis ergäbe sich dann eine Art Ringbahn. Wie realistisch ist dieses Vorhaben, welcher Mehraufwand muss dafür im Vergleich zur Aartalbahn eingeplant werden und welcher Nutzen ergibt sich daraus aus Sicht des Rheingau-Taunus-Kreises?

Frank Kilian: Die Aar-Taunus-Ringbahn wäre eine Möglichkeit, die die verkehrlichen Erfordernisse im Nord-Osten des Rheingau-Taunus-Kreises mit den Herausforderungen in der Landeshauptstadt Wiesbaden – Stichwort Ostfeld-Anbindung – synergetisch verbinden könnte. Ob es am Ende des Tages aber tatsächlich zu dieser Form der Umsetzung kommt, bleibt abzuwarten. Wir fokussieren uns in erster Linie auf die Reaktivierung der Aartalbahn zur Anbindung des Rheingau-Taunus-Kreises an die Landeshauptstadt Wiesbaden. Ob, wann und wie die Ringbahn-Ausgestaltung in nächsten Schritten dies ergänzt, wird der weitere Prozess zeigen. Ich finde den Ansatz aber in der Tat durchaus vielversprechend.

Die Zukunft der Mobilität in Taunusstein wird nicht allein mit der Aartalbahn zu lösen sein. Vor allem ist sie kein Selbstzweck. Für uns steht die Frage im Vordergrund, wie wir den Bürgerinnen und Bürgern unserer Stadt und der Region attraktive Angebote für ihre individuellen Bedarfe zur Verfügung stellen können – denn nur wenn es auch in der Praxis funktionierende schnelle, bequeme und bezahlbare Konzepte gibt, werden die Menschen sie auch nutzen. Und nur dann wird eine Verkehrswende Realität.

Frank Kilian (56) ist seit dem 5. Juli 2017 Landrat des Rheingau-Taunus-Kreises. Nach erfolgreicher Ausbildung als Verwaltungsfachangestellter und anschließendem Vorbereitungsdienst für die gehobene Beamtenlaufbahn war Frank Kilian kurze Zeit bei der Landeshauptstadt Wiesbaden beschäftigt, bevor er 1989 zur Stadt Geisenheim wechselte. Dort war er bis 2010 im Finanzbereich und der Betriebsleitung des Eigenbetriebs Stadtwerke tätig. Im Jahr 2010 wurde er erstmals zum Bürgermeister der Stadt Geisenheim gewählt. Dieses Amt hatte er bis zu seinem Amtsantritt als Landrat des Rheingau-Taunus-Kreises am 5. Juli 2017 inne. Kilian ist in zweiter Ehe verheiratet und hat drei erwachsene Söhne und zwei erwachsene Stiefsöhne. Er wohnt mit seiner Ehefrau Birgit in Bad Schwalbach. Frank Kilian ist parteilos. 


Autor:
  • Veronika Heibing
  • Projektmanagerin PERFORM