22.07.2019 | Mobilität und Verkehr, Digitalisierung und räumliche Entwicklung

„Die hohe Nachfrage hat uns überrascht“

Am 6. September des letzten Jahres hat die Stadtverordnetenversammlung Wiesbaden ein Sofortpaket für den Luftreinhalteplan zur Abwendung eines Dieselfahrverbotes in Wiesbaden beschlossen. Vieles davon wurde bereits umgesetzt. Weitere Maßnahmen werden diskutiert oder sind bereits in Vorbereitung. Man kann sagen, dass dieses Datum der Beginn einer bedeutenden Mobilitätswende in Wiesbaden darstellt.

Dr. Petra Beckefeld, inwieweit wird die Mobilitätswende von der Wiesbadener Bevölkerung mitgetragen?

Das Sofortpaket enthält ein ganzes Maßnahmenbündel. Darunter befinden sich auch unpopuläre Maßnahmen wie die Erhöhung der Parkgebühren und der Wegfall von PKW-Stellplätzen. Die neu gewonnenen Flächen können wir jedoch sinnvoll und zum Nutzen Aller umgestalten, indem z.B. neue Umweltspuren für Rad und Bus oder auch zusätzliche P&R Parkplätze geschaffen wurden und noch weiter werden. Darüber hinaus wurden zusätzliche Buslinien eingeführt und die Taktung bestehender Linien erhöht. Unter dem Strich konnten wir hohe Zustimmungsraten in der Bevölkerung feststellen. Die Wiesbadener sind sich bewusst, dass einige Maßnahmen auch mal unpopulär sein müssen, um eine Mobilitätswende und damit den Erhalt unserer Umwelt zu ermöglichen.

Der ÖPNV geht also gestärkt aus der Mobilitätswende hervor. Welche Perspektiven hat dann noch der Individualverkehr?

Ob der Individualverkehr hinter dem ÖPNV zurücksteht oder ebenfalls gefördert wird, ist eine politische Entscheidung, die nicht auf Ämter-Ebene getroffen wird. Das beschlossene Maßnahmenpaket zur Luftreinhaltung beinhaltet jedoch auch Entscheidungen, die dem Individualverkehr zugutekommen. So sollen Ampelanlagen mit Kameras und Schadstoffmessstationen ausgerüstet werden, so dass mittels moderner Computertechnik Verkehrsströme in Echtzeit umgeleitet und Rot- und Grünphasen dem Verkehrsaufkommen angepasst werden können. Staus können dadurch in Zukunft reduziert, der Verkehrsfluss verbessert werden.

Welche Rolle spielen Schienenwege im neuen Mobilitätskonzept? Einige Regionen haben ja stillgelegte Trassen zu Radschnellwegen umgewandelt.

Das steht in Wiesbaden nicht zur Debatte, da es – anders als beispielsweise im Ruhrgebiet – keine dafür verfügbaren stillgelegten Trassen gibt. Der zwischen Wiesbaden und Mainz vorgesehene Radschnellweg kann daher nur parallel zu noch genutzten Schienenwegen geplant werden.

Andere Regionen haben mit Metrobussen gute Erfahrungen gemacht, also Schnellbusse, die als Schnittstelle zwischen Nah- und Fernverkehr dienen.

Auch Wiesbaden, hier hat die ESWE Verkehr in Abstimmung mit dem RMV neue Schnellbuslinien in Vorbereitung und eine Taktverdichtung der bestehenden – auch der schienengebundenen – Linien teilweise bereits umgesetzt,  wovon z.B. auch die Ländchesbahn profitiert die Wiesbaden mit Limburg verbindet. Auch die bereits erwähnten Verbesserungen der Busverbindungen gehören dazu. Die Linie 269 zwischen Wiesbaden und Idstein ist z.B. eine zusätzliche Schnellverbindung zur Linie 271.

Steigender E-Commerce führt zu höheren Anforderungen an die Citylogistik. Inwieweit können E-Lastenräder und Schienenbeförderung von Gütern zur Entlastung des Verkehrs beitragen?

Wissenschaftliche Studien haben ermittelt, dass nur 11 Prozent des Wirtschaftsverkehrs in Wiesbaden dem E-Commerce zugerechnet wird, sprich der Paketzustellung durch DHL, Hermes, UPS und anderen Dienstleistern. Der Rest besteht aus dem klassischen Zulieferverkehr der Wiesbadener Geschäfte, Unternehmen, Hotels und Restaurants. Eine unserer Ideen bestand daher in der Einführung von E-Lastenrädern. Diese sind flexibel und vielseitig einsetzbar. Das Förderprogramm in Höhe von 100.000 Euro war in kürzester Zeit abgerufen worden und es besteht bereits eine Warteliste. Die hohe Nachfrage hat uns selbst überrascht. Was die Schienenbeförderung betrifft, so bietet Wiesbaden hier zurzeit nur begrenzte Möglichkeiten. Auf langfristige Sicht kann die Güterbeförderung wie etwa durch eine Citybahn durchaus Teil der Lösung sein. Aber das ist noch Zukunftsmusik.

Die promovierte Bauingenieurin Petra Beckefeld (60) wurde im September 2015 als Leiterin des Tiefbau- und Vermessungsamtes Wiesbaden berufen und führt dort ein Team von 180 Mitarbeitenden. Beckefeld war zuvor in der freien Wirtschaft tätig, darunter als Leiterin des Kompetenzzentrums Public Private Partnership Verkehrswege bei Hochtief. Dank ihrer umfangreichen beruflichen Auslandserfahrung, die sie unter anderem in Polen, Tschechien, Ungarn und Österreich gesammelt hat, verfügt sie über den Blick „von außen“ auf aktuelle Problemstellungen der Landeshauptstadt.

Autor:
  • Veronika Heibing
  • Projektmanagerin PERFORM