23.11.2018 | Flächenentwicklung

Interkommunale Kooperation: Gemeinsam größer denken

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Wenn Unternehmen aus anderen Kontinenten in der Region FrankfurtRheinMain investieren wollen, interessieren sie kommunale Grenzen kaum. Die Städte Raunheim, Kelsterbach und Rüsselsheim vermarkten deshalb in China ihre verfügbaren Gewerbeflächen unter dem Titel „Drei gewinnt“ gemeinsam. Wenn einer der drei den Zuschlag erhält und ein geeignetes Areal anbieten kann, erhalten auch die anderen zwei jeweils ihren Anteil an der Gewerbesteuer.

Die Chinesen sind begeistert: Deshalb werden sich die zwei großen Automobilfirmen Chery und Geely schon bald auf dem 14 Hektar großen Areal des Gewerbegebiets Airport Garden in Raunheim ansiedeln. Auch kleinere IT-Start-ups aus China fassen dort bereits kräftig Fuß auf ihrem Weg nach Deutschland. Die verkehrsgünstige Anbindung an Flughafen und Autobahnen überzeugt schnell. Die Gewerbesteuer, die diese Unternehmen zahlen werden, kommt allen drei Städten zugute. Fast zu gleichen Teilen: Wer das Areal stellt, erhält zehn Prozent mehr als die Partner. So haben es die Bürgermeister Thomas Jühe (Raunheim), Manfred Ockel (Kelsterbach) und Patrick Burghardt (Rüsselsheim) bereits vor fünf Jahren vereinbart. 

Erst einige Zeit später arbeiteten Juristen das detaillierte Konstrukt eines Zweckverbandes aus, damit sich die Stadtoberhäupter auch auf rechtlich sicherem Terrain bewegen. Denn schließlich „veruntreut“ ein Bürgermeister ja theoretisch Geld seiner Kommune, wenn er davon anderen etwas abgibt. Sich gemeinsam um Gewerbeansiedlung zu bemühen sollte aber Geld sparen und zusätzliche Gewerbesteuer einbringen. 

In Raunheim gab es zuerst den Platz für ein neues Gewerbegebiet, die anderen Städte werden in den nächsten Jahren weitere Standorte entwickeln, so dass Flächen für die nächsten 15 Jahre vorhanden sind. „So etwas funktioniert nur, wenn sich Menschen persönlich verpflichtet fühlen und einem Handschlag der Partner auch vertrauen“, betont Thomas Rühe. Der Dreier-Pakt wurde so begründet und hält bis heute, auch wenn wechselnde politische Mehrheiten oder personelle Wechsel an der Verwaltungsspitze das Konstrukt bedrohen könnten. Die Zusammenarbeit kann nur von den drei Partnerstädten gemeinsam aufgekündigt werden. 

Ein Vorbild dafür hatten sie nicht, denn ihre Zusammenarbeit auf diesem Gebiet ist noch immer eine echte Pionierleistung. „Wann immer wir irgendwo davon erzählen, ernten wir sehr großes Interesse“, sagt Jühe, doch Nachahmer haben sich bislang nicht gefunden.

Die unterschiedlichen Gewerbesteuer-Hebesätze der drei Kommunen stellen kein Hindernis dar: Erhoben wird jeweils der Satz der Stadt, auf deren Gemarkung die jeweilige Firma angesiedelt ist. Bereits 2003 haben die Städte Raunheim und Kelsterbach ein gemeinsames Gewerbegebiet für Logistikfirmen auf dem Mönchhofgelände in Angriff genommen, hatten also schon ein wenig Erfahrung, bevor Rüsselsheim mit ins Boot kam.

„Alle drei Städte bringen jeweils das ein, was ihre Stärke ist“, berichtet Jühe. Kelsterbach hat die Schulträgerschaft in eigener Regie übernommen und kann an den Schulen somit viel einfacher auch chinesische Sprachangebote machen. Rüsselsheim hat mit Opel und der Hochschule Rhein-Main zwei Pfunde, mit denen es sich bei der Anwerbung von Unternehmen gut wuchern lässt. Und Raunheim zeichnet sich laut seinem Bürgermeister durch „große Agilität“ aus. Das heißt auch, dass dort ein Macher an der Verwaltungsspitze steht, der interkommunale Zusammenarbeit auch wirklich lebt.

Tatkräftige Unterstützung fand und findet er in der Verwaltung durch Marion Götze. „Sie ist die Mutter aller interkommunaler Zusammenarbeit in Hessen“, wie er betont, und mittlerweile Erster Stadträtin von Friedberg. Dort transferiert sie die Modelle der Zusammenarbeit, die sich in den drei Mainstädten nicht nur auf die Gewerbegebiete beschränken, bereits kreisübergreifend auch in die Wetterau.

Für Städte wie Raunheim, so der Bürgermeister, „gehen ohne genügend Gewerbesteuereinnahmen bald die Lichter aus“, denn allein von der Einkommensteuer können sie nicht überleben. Weil aber der Anteil von Migranten dort bei 65 Prozent liegt und deshalb der Bildungssektor von der Kita an ganz besondere Zuwendung, Personal und Sprachprogramme benötigt, will die Kommune das erwartete deutliche Plus bei den städtischen Einnahmen künftig vermehrt in Bildung stecken.

Damit aus solchen Plänen Realität wird, müssen Politiker und Planer über vermeintliche Hürden hinweg denken. Und pragmatische Macher einander auch einfach mal per Handschlag vertrauen.

Autor:
  • Veronika Heibing
  • Projektmanagerin PERFORM