04.12.2019 | Mobilität und Verkehr

„Babenhausen hat das Zeug zum Mittelzentrum“

Sylvia Kloetzel verantwortet beim Bürgermeister die Stabsstelle Standortentwicklung, Öffentlichkeitsarbeit und E-Government und sieht Babenhausen gar nicht so sehr an den Rand gedrängt, wie das zunächst den Anschein hat.

Frau Kloetzel, stellt die Randlage Babenhausens ein Schicksal dar oder liegt darin auch eine Chance?

Sylvia Kloetzel: Als zentralen Vorteil sehe ich zunächst die sehr gute Verkehrsanbindung Babenhausens. Nur zehn Minuten zu Fuß vom Rathaus liegt ein zentraler Bahnknotenpunkt, der einerseits Hanau mit dem Odenwald und andererseits Wiesbaden mit Aschaffenburg verbindet. Und auch zur S-Bahn nach Frankfurt ist es von hier nicht weit. Die vielbefahrene B26 führt aus Darmstadt in Richtung Bayern ebenfalls durch Babenhausen hindurch und ist so überlastet, dass ich Anfragen von Logistik-Unternehmen aufgrund des Verkehrs prüfen oder zum Teil ablehnen muss, was mir als Wirtschaftsförderin natürlich nicht leichtfällt. „Pendlerstation“ ist für mich jedoch kein negativ besetzter Begriff. Meine Vorstellung ist, hier einen Raum für Unternehmen oder Behörden zu schaffen, denen die Nähe zu Frankfurt einerseits wichtig ist und die andererseits auch die Nähe zur Natur suchen oder, die einfach den Stau nach Frankfurt satt haben und die Möglichkeit der mobilen Arbeit von Babenhausen aus nutzen wollen.

Apropos Natur. Sie haben in einem anderen Interview einmal gesagt, dass man Tourismus nicht nur als Urlaub verstehen sollte. Was verstehen Sie darunter?

Wenn wir die Frage diskutieren, ob und unter welchen Bedingungen sich hier Unternehmen ansiedeln können, geht es in der Regel nicht um das reine Grundstück. Entscheidend ist vielmehr das Gesamtpaket dessen, was Babenhausen zu bieten hat, verbunden mit Fragen wie, wo können die Kinder zu Schule gehen, gibt es Freizeitmöglichkeiten wie z.B. Vereine? Wie attraktiv ist die Gastronomie, wie intakt ist die Natur, wie effektiv die Verkehrsanbindung und welche Ausflugsmöglichkeiten gibt es? Und da hat Babenhausen einiges zu bieten. Mit dem Wassererlebnisband Gersprenz findet man hier einen der reizvollsten Radwanderwege Hessens, der Teil des Europäischen Radwanderweges R4 ist. Und wo sonst findet man ein Freibad mit einem echten Schiff? Auch die seltenen Przewalski-Wildpferde haben in Babenhausen eine Heimat gefunden. Das passt zu unserem Prädikat Pferdestadt. All das bietet eine reizvolle Kulisse sowohl für Babenhäuser, für Tagesausflugsgäste und auch für Besucher von Tagungen und Konferenzen oder Wochenendtouristen.

Sie planen auch Co-Working-Spaces in Babenhausen einzurichten. Reicht hier das Natur-Argument, um Start-ups an den Standort zu ziehen?

Die Natur ist natürlich ein wichtiges Asset für gestresste Großstädter. Aber entscheidend sind zum einen gute Kontakte und zum anderen eine sinnvolle Verbindung mehrerer Vorteile zu einem wettbewerbsfähigen Gesamtkonzept. Wir bemühen uns beispielsweise um die Ansiedlung eines „Hessen-Büros“ in Babenhausen. Das Hessische Finanzministerium ist da schon sehr fortgeschritten in seinen Ideen, indem es Finanzbehörden in den ländlichen Raum verteilt. Auch für andere Ämter könnte das eine Lösung sein. Wir stehen aber auch in Kontakt mit der freien Wirtschaft, zum Beispiel mit der Unternehmerin Ella Hinkel aus Babenhausen, die bereits in Offenbach Co-Working-Spaces genutzt hat und diese hier an ihrem Heimatstandort etablieren möchte. Aber auch mit Continental, die Arbeitsplätze von Babenhausen an andere hessische Standorte verlegen wollen, stehen wir im Gespräch. Denn auch für diese Mitarbeiter, die in der Regel sozial in Babenhausen verwurzelt sind, könnte das eine Alternative zum Wegzug oder zum Dauerpendeln sein. Eine vielseitig genutzte Pendlerstation bietet Synergieeffekte, etwa durch gemeinsam genutzte Besprechungsräume. Ich sehe keinen Grund, warum das nur in Frankfurt funktionieren sollte. Im Gegenteil: Babenhausen ist dafür bestens gerüstet.

Die von Ihnen erwähnten Przewalski-Pferde grasen auf dem Gelände einer 2007 von der US Army aufgegebenen US-Kaserne. Haben Sie noch mehr mit dem Gelände vor?

Die militärische Nutzung des Geländes geht bis weit in die Kaiserzeit hinein und wir sind froh, mit diesem bedeutenden Konversionsareal, das wir unter der Bezeichnung „Kaisergärten“ als neues Stadtquartier entwickeln, eine so wertvolle Fläche hinzugewonnen zu haben. Die Przwalski-Pferde stellen übrigens eine perfekte Nachnutzung der südlichen Freifläche dar, weil sie u.a. die Grasnarbe umpflügen, ähnlich wie es vorher die US-Panzer getan haben. Dies führt zum Erhalt eines einzigartigen Flora-Fauna-Habitats (FFH), eines natürlichen Lebensraumes für wildlebende Tiere und Pflanzen gemäß der Naturschutz-Richtlinie der Europäischen Union. Für einen nahezu leergefegten Wohnungsmarkt ist auf dem Kasernengelände zudem vor allem der Wohnungsbau von Bedeutung. Das Areal soll Heimat von 2.000 Menschen werden. Dazu kommen ein Kindergarten und eine Schule. Selbst die ehemaligen Wartungshallen der Militärtechnik sind als Zwischennutzung für Mieter interessant, so hat bereits das im Bereich Schalungen, Gerüste und Sicherheitstechnik international tätige Unternehmen Hünnebeck Interesse für diese Hallen angemeldet und wird im nächsten Jahr seinen Standort von Darmstadt nach Babenhausen umziehen.

Wenn Sie einmal träumen dürften: Wie stellen Sie sich Babenhausen in 100 Jahren vor?

Zunächst mit einem S-Bahn-Anschluss, der Babenhausen direkt mit Frankfurt verbindet; dafür sollte dann auch der innerstädtische PKW-Verkehr weitgehend weichen und Raum für eine bespielbare und damit attraktive Innenstadt freigeben. Eine Umgehungsstraße reduziert Lärm- und Emissionsbelastung für die Kernstadt, so dass sich auch wieder Logistikunternehmen auf diesem wichtigen Verkehrsknotenpunkt ansiedeln können. Babenhausen würde sich dann zu einer attraktiven Erlebnisstadt entwickeln, die Bewohner, Unternehmen und Touristen gleichermaßen anzieht. All das würde letzten Endes dazu führen, dass Babenhausen zum Mittelzentrum heranwachsen würde. Die Voraussetzungen dafür sind jedenfalls gegeben.

Die studierte Diplom-Geographin, Soziologin, Ethnologin und ausgebildeter Systemischer Coach Sylvia Kloetzel (56) startete bei der Stadt Babenhausen als Internetbeauftragte, danach Stabsstelle und war von 2009 bis 2018 Fachbereichsleiterin Standortentwicklung und E-Government. Sie verantwortet seit 2018 die Stabsstelle Standortentwicklung, Kommunikation und E-Government. Sylvia Kloetzel hat sich u.a. mit dem Tourismus beschäftigt, ihn als Best-Practice-Beispiel der Region und den städtischen i-Punkt aufgebaut, der 2017 dem Rotstift zum Opfer fiel. Intensiv arbeitet sie zurzeit an der Umsetzung des Online Zugangsgesetzes in der Verwaltung. Kommunalpolitische Erfahrung hat Kloetzel ebenfalls gesammelt.

Autor:
  • Veronika Heibing
  • Projektmanagerin PERFORM